Phöbe Pieper

Verena Hupasch, Katalog zur Ausstellung “Gefundene Stadt”, 2011

[...] Phöbe Pieper stellt neuerdings zahlreiche mittelformatige Papierarbeiten her, die sie zu mehreren unterschiedlichen Serien angeordnet hat: eine von ihnen, “Überlagerungen/Gedränge”, besteht aus acht Blättern. Verschiedenartige, in der Stadt und anderswo gefundene Materialien, vor allem Pappe und Seidenpapier, verkleistert die Künstlerin meist auf Papier, das seine Ebenmäßigkeit und Reinheit anschließend sofort verliert und dem applizierten Material wellig und grob entgegenkommt. Nur die untergelegten Farben wirken diesem materialbedingten Einverleibungsprozess entgegen, indem sie sich opak unter den ihnen auferlegten Schichten behaupten. In ihrer Art sind sie Palimpseste: in der Antike überklebte und schabte und überschriebman alte Manuskripte, die man aus den verschiedensten Gründen nicht mehr benötigte und aus Materialmange wieder verwendete. Zerstörung war hier nicht das Ziel, vielmehr erhielt sich auf diese Weise nicht selten das Alte der Nachwelt. In den großformatigen quadratischen Bildern geht es um Schichtungen, die aber nicht so kompakt ausgeführt werden wie in den beschriebenen Collagen. “Bis hierher”, “Strömung”, “Schichten” sind eher lose Kompositionen, intuitiv gewachsen. Auch hier wieder Applikationen, Abdrücke und Gemaltes. Dem Zufall verpflichtet und ausgeliefert zugleich scheinen sie aus der Zeit gefallen. An irgendeinem Tag diese oder des letzten Jahrhunderts im ganz eigenen, nur so gekonnten und gewollten Tempo wird geklebt, gemalt, gedruckt. Stränge einer Erzählung ohne Anfang und Ende, Unnennbares schimmert aus dem Untergrund. Der Betrachter liest sich durch Schichten und Ebenen, die fortwährend um- und weitererzählte Geschichte, endlos in der Wiederholung, sie summt permanent, schweigt nie, wie die Farbe, wie das Papier, wie die festgehaltenen Dinge [...]

Jennifer Krumnow, Nachtausgabe.de, 2011

[...] Die Künstlerin hat bei Streifzügen durch ihre Heimatstadt Gegenstände aufgelesen und als Material dür ihre Arbeit verwendet. Entstanden sind collagenartige Werke, die Schicht für Schicht vom Suchen und Finden erzählen. Was der Künstlerin da zugefallen ist, präsentiert sich dem Besucher fast wie eine Art Bilderrätsel. Ein Stück angelaufenes Metall in der Arbeit “Bis hierher” wirft die Frage auf, aus welchem ursprünglichen Gegenstand es heraus gebrochen sein mag. In “Übergröße Untergröße” wurden ein Leder-Etwas und Streifen von Lochkartenbändern verarbeitet. Und wiederholt lässt sich ein faszinierender Silberglanz entdecken, sei es von dem perforierten Kaugummipapier oder der aluminiumbeschichteten innenseite einer verschlissenen Verpackung. Die präsente Materialität der Bilder verlangt dem Betrachter ab, sich zu verbiegenund so nah wie möglich an das zu Sehende heranzuwagen. Was in Museen so gut wie verpönt ist, wird hier zelebriert... Phöbe Pieper hat gesucht und ihre nie endende Suche hat sie dabei großartig festgehalten. Die urbanen Hinterlassenschaften kombiniert sie mit Farbschichten aus hell, dunkel und grell. Was so abstrakt daherkommt, wie die Serie “Überlagerungen/Gedränge” zieht hinein in die Untiefen Berlins. Es gelingt der Malerin die Vielschichtigkeit der Großstadt zu transportieren und eröffnet einen Blick auf Schönheit und Abgründe [...] Nikolaus Rohrbach, “Phöbe Pieper”, 2009 Ins Bild eingearbeitete Gebrauchsgegenstände aus untergegangenen Arbeits-oder Alltagswelten. Welkes Laub, das an die Anatomie des menschlichen Hirns denken lässt. Ein echter Ledermantel auf einer Fläche in schmutzigem Weiß. Die Materialcollagen der Berliner Künstlerin Phöbe Pieper fasziniere durch sublimen Witz und eine Dialektik von sinnlicher Harmonie und abgründiger geistiger Spannung. Auf großformatigen Abstraktionen häufig die Zeichen des Geschlechtlichen. Phallische Konturen und Hinweise auf die Essenz weiblicher Körpererfahrung. Etwas ist zerrissen oder geöffnet und kräftige Ströme ergießen sich über die Bildfläche. Dazu Portrait und Selbstportrait in expressiver Verknappung. Figuren, die im Bildhintergrund zu verschwinden scheinen odre noch nicht wirklich angekommen sind. Das Besondere an allen Werken der Künstlerin ist ihre leise Intensität. Ein Sog erfasst den Betrachter, der nicht aus dem Spektakulären entsteht. In diesen Bildern ist etwas, das nach Deutung verlangt, obwohl es sich am Endejeder Eindeutigkeit verweigert. Phöbe Piepers Bilder stellen Rätsel, die nicht gelöst, sondern akzeptiert werden wollen. So sind sie ein Fall für hoffnungslose Genießer.